Friedrichshain-Kreuzberg
Die Wohnung sollte ziemlich nah an Mitte liegen, mit guter Anbindung an Öffentliche Verkehrsmittel und der Kiez sollte interessant sein. Damit fiel für uns schon mal fast der ganze Westen Berlins flach. Für Tiergarten reichten unsere finanziellen Mittel nicht und Charlottenburg, Steglitz und Wilmersdorf waren uns zu piefig, Kreuzberg, das hätte gepasst, aber die schönen Ecken waren finanziell einer anderen Klientel vorbehalten.
Im Osten ist Bewegung drin, das konnte ich in den 10 Jahren meiner Berlinbesuche klar erkennen, nichts fand ich wieder so vor, wie ich es in Erinnerung hatte. Also suchte ich meine Berliner Zuflucht in Friedrichshain und den angrenzenden Stadtteilen. Nach Prenzlauer Berg wollte ich nicht. Meinen Eindruck, durch eine große Puppenstube zu schlendern, wurde ich dort nie mehr los. Klar gefällt mir die Gegend um den Kollwitzplatz, aber zu wissen, dass dort 97% der ehemaligen Bewohner in den letzten 20 Jahren durch Sanierung einfach ausgetauscht wurden, lässt mich die Latte machiato trinkenden und über ihre durch die lieben Kleinen unterbrochene Karriere lamentierenden Mammies in einem anderen Licht sehen. Wenn am Laternenpfahl das vierjährige Geige spielende Mädchen für die KITA, in der ein extra Koch biologisch vollwertiges Essen serviert, gesucht wird, ist unsere Gesellschaft beim Designerkind angekommen, das mir nicht mehr gefällt.
Ich beobachte die Gentrifizierung der Berliner Ost-Kieze mit sehr gemischten Gefühlen. Natürlich wollen wir gerne in tollen Restaurants essen gehen, wollen vor interessanten Schaufenstern staunen, wollen in Kneipen mit ganz bestimmtem Ambiente guten Wein trinken. In der Regel ist das nicht gerade die Eckkneipe, in der der Malocher auf dem Heimweg seine Bulette isst, sein Berliner Pils trinkt und vielleicht noch einen Klaren kippt. Auch der kleine Laden zwei Straßen weiter musste dichtmachen, weil es im nächsten Einkaufszentrum ein paar Ecken weiter drei Supermärkte gibt, Aldi und Lidl sind immer mit dabei und auch eine Filiale der regionalen Biosupermarktkette findet sich dort. Der Gemüse-Türke hält sich zwar noch, aber für welchen Preis, was Arbeits- und Öffnungszeiten angeht!
Ich wünsche mir sehr, dass Friedrichshain sich nur langsam entwickelt und vor allem die Umgebung der Mühsamstraße uns alle erträgt, die Zugezogenen, die Gelegenheits-Berliner und die Urlaubsgäste, und trotzdem so bleibt, wie sie ist. Es muss nicht jedes Haus saniert sein, ein alter Baum im Hinterhof kann viel mehr Charme haben als das schicke Holzversteck für die Mülltonnen und das Verbundsteinpflaster, das keinem Grashalm mehr ein Durchkommen gewährt. Ich freue mich zwar auf unseren Vulkanus-Brunnen, aber er wird erst dann wertvoll sein, wenn die Bewohner der Mühsamstraße dort sitzen, um beim Feierabend-Bier miteinander zu schwätzen.